Ebenso wie viele deutsche Städte hat sich auch New York ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt. Mit seiner „Roadmap to 80 x 50“ will Bürgermeister Bill de Blasio die Treibhausgase bis 2050 um 80% senken. Die gebäudebedingten CO2-Emissionen liegen dabei heute bei ca. 67%. In der Roadmap wird die Notwendigkeit der energieeffizienten Sanierung des Gebäudebestands erwähnt, wie dies im Einzelnen umgesetzt werden soll, wird jedoch nicht erklärt. Damit steht New York nicht allein da. Wie CO2-Minderungsziele konkret erreicht werden, darüber herrscht unter Stadtplanern und Entscheidern selten Einigkeit. Welche Stellschrauben es zu drehen lohnt und welche Auswirkungen dies wiederum auf andere Bereiche der Versorgung oder des Verbrauchs hat, darüber lassen sich angesichts des komplexen Metabolismus Stadt nur schwer eindeutige und allgemeingültige Aussagen machen. Diese wären aber vor allem für die langfristige Planung immens wichtig, während der die Städte stetig weiterwachsen und mehr Energie brauchen. Verlässliche Planungstools können Antworten geben, wie viel Aufwand notwendig ist, um Reduktionsziele unter zunehmend urbanisierten Bedingungen zu erreichen. "Bottom-up"-Ansätze, insbesondere auf GIS-Basis, sind in der Lage, "Was-wäre-wenn" -Szenarien zu simulieren.
Das Stadt- und Energieforschungsteam der HFT Stuttgart arbeitet an einer solchen Entscheidungshilfe durch urbane Simulation auf Basis von CityGML (City Geography Markup Language) - einem international standardisierten Anwendungsschema zur Speicherung und zum Austausch von virtuellen 3D-Stadtmodellen. Den gleichen Weg geht das baden-württembergische Forschungsnetzwerk ENsource – beide unter Leitung von Prof. Dr. habil. Ursula Eicker. Am Beispiel von fünf Case Studies - von der Insel Mainau bis zum Bosch-Areal in Schwieberdingen - untersuchen die Teams, wie sich industrielle Standorte sowie Wohnareale hinsichtlich der Gebäudehülle und der Integration erneuerbarer Energien optimieren lassen. Für jede Fallstudie wird in einem automatisierten Workflow Energie- und Ressourceneffizienz sowie Wirtschaftlichkeit von mindestens drei Szenarien berechnet.
Mit Unterstützung der Partner der New York University (NYU), der City University New York (CUNY) und dem Energieversorger ConEdison konnten die Forscher nun erstmals diese Methodik auf eine Fallstudie in New York City anwenden. Die Verfügbarkeit georeferenzierter Daten wie Energieverbräuche großer Gebäude oder aus dem sozialen Wohnungsbau, ein bereits existierendes 3D-CityGML-Modell und das Engagement der Stadt für eine nachhaltige Zukunft machen New York City zu einem optimalen Testfeld für die Leistungsfähigkeit der in Deutschland entwickelten Methode der urbanen Energiesimulation. Um die Genauigkeit des SimStadt-Simulationsprozesses basierend auf 3D-Gebäudemodellen zu bewerten, wurden die Simulationsergebnisse mit gemessenen Energieverbrauchsdaten verglichen.
Fallstudie Brooklyn, New York City
Die für die Simulation ausgewählte Fallstudie umfasst einen Teil des New Yorker Stadtteils Brooklyn. Sie besteht hauptsächlich aus Downtown Brooklyn, einem dynamischen und schnell wachsenden Wohnviertel mit vielen Restaurants, Geschäften und kleinen Büros. Dieses Viertel ist zwischen 2000 und 2009 um 7% auf 150.000 Einwohner gewachsen und befindet sich weiter im Wachstumstrend.
Die zunehmende Einwohnerzahl, bereits existierende Probleme in der Stromversorgung, ein weitgehend unsanierter Gebäudebestand sowie die Zielsetzung der Stadt New York zum Ausbau der nachhaltigen Energieversorgung führen hier zu einem erhöhten Handlungsbedarf. Der Fokus der Untersuchungen lag hier auf dem Heizenergie-, vor allem aber auf dem Kühlenergiebedarf, der durch die massenhafte Verwendung von elektrisch betriebenen Klimageräten einen erheblichen Anteil am Strombedarf der Stadt ausmacht. Wenn im Zuge einer nachhaltigen energetischen Transformation volatile erneuerbare Energien wie Wind- oder Solarenergie in die Netze integriert werden, muss die Netzstabilität durch intelligente Steuerung sichergestellt werden, um die in New York so gefürchteten Blackouts zu vermeiden. Voraussetzung ist die genaue Kenntnis des Bedarfs.
Die Methode
Die an der HFT Stuttgart entwickelte Simulationsplattform SimStadt kann jetzt schon für die detaillierte Berechnung des Gebäudeenergiebedarfs, die Auslegung von Wärmenetzen sowie für die Ermittlung des Stromverbrauchs verwendet werden. Sie kombiniert die Geometrieverarbeitung mit verschiedenen Simulationsfunktionen, um zum Beispiel eine Energiebedarfsberechnung nach der europäischen DIN EN ISO 13790 durchzuführen. Die geometrischen Informationen stammen aus 3D-CityGML Modellen.
Die im 3D-Stadtmodell enthaltenen Informationen wie z.B. Baujahr und Gebäudetyp werden mit Daten aus verschiedenen Gebäudebibliotheken zur Bauphysik und Gebäudenutzung verknüpft, um anschließend verschiedene Berechnungen bzw. Anwendungen für ein Quartier oder eine ganze Stadt durchzuführen. Die Gebäudebibliotheken orientieren sich an der anerkannten Gebäudetypologie des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU), der modulare Aufbau der Bibliothek erlaubt es aber auch, eigene projektspezifische Datenbanken zu erstellen.
Weiterhin gibt es eine Nutzungs-Bibliothek, in der Einflussgrößen wie interne Lasten, Luftwechsel, Fahrpläne für das Heizen und Kühlen sowie die dazugehörigen Grenztemperaturen für verschiedene Gebäudenutzungen festgelegt sind. Auch diese Bibliothek kann individuell modifiziert werden.
Der Workflow zeigt auf, wie aus Überfliegungen des Stadtraums 3D Modelle gewonnen werden und mit Gebäudeattributen versehen werden. Der sogenannte City Doctor korrigiert automatisch fehlerhafte Geometrien, so dass validierte Daten in die 3DcityDB geschrieben werden können. Anschließend werden vom Workflow Manager verschiedene Simulationen angestoßen und die Daten visualisiert oder in Dateien exportiert.
Um die in Brooklyn erstellten Simulationsergebnisse zu validieren, wurden sie mit gemessenen und auf der NYC Open Data Website bereitgestellten Energieverbräuchen verglichen.
Ergebnisse
In einem ersten Schritt wurde mit den in der Simulationsplattform vorgegebenen deutschen Materialdaten für die New Yorker Gebäude gerechnet. Danach wurden die Inputs Schritt für Schritt angepasst, um die lokalen Gegebenheiten von New York City angemessen zu berücksichtigen. Am Ende aller Anpassungen stand die Simulation mit an die Gebäude und Nutzungen in New York City adaptierten Bauphysik- und Nutzungs-Bibliotheken sowie den lokalen Wetterdaten.
Für die hohen Abweichungen beim Kühlenergiebedarf musste es eine Erklärung geben. In der Simulation war das Team davon ausgegangen, dass 100% der Fläche gekühlt wird, wenn eine bestimmte Außentemperatur erreicht ist. In amerikanischen Gebäuden ist dies allerdings überwiegend nicht der Fall, sondern es werden nur einzelne Räume wie z.B. das Schlafzimmer, gekühlt. Diese Einschätzung basiert auf Umfragen der Residential Energy Consumption Survey (RECS) im Nordosten der USA, die erhoben hat, dass 14% der Haushalte überhaupt keine Geräte zur Kühlung in den Wohnung haben, 60% der Haushalte haben nur Einzelgeräte und keine zentrale Kühlung der Wohnung. In den untersuchten Gebieten in New York City haben 90% der Mehrfamilienhäuser, die einen Großteil der Gebäude in Gebiet A ausmachen, dezentrale Systeme, die nur einzelne Räume kühlen. Daraus resultiert, dass der simulierte Kühlenergiebedarf 2-3 Mal zu hoch ist.
Entwicklung von Sanierungsszenarien
Das CO2-Einsparungsziel der Stadt New York, bis 2050 den CO2-Ausstoß um 80% zu reduzieren, soll unter anderem durch die Optimierung des Gebäudesektors erreicht werden. Neben effizienteren Systemen und der Umstellung auf erneuerbare Energien spielt die Gebäudesanierung eine maßgebliche Rolle. Die Stadt New York gibt an, dass über 90% der heute bestehenden Gebäude noch im Jahr 2050 existieren werden und derzeit für 73%, also fast drei Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Die Sanierung dieser Gebäude muss in den nächsten Jahrzehnten bewertet und durchgeführt werden. In absoluten Zahlen zielt die Stadt darauf ab, die Treibhausgasemissionen um 44,5 Millionen Tonnen zu reduzieren, mit einer wachsenden Bevölkerung und expandierenden Bauflächen.
Für das Gebiet A in Brooklyn wurden drei verschiedene Szenarien mit der zuvor an die amerikanischen Gegebenheiten angepassten Simulationsmethodik berechnet:
- Szenario 1 (Sealing): Dieses Szenario zeigt, was passieren würde, wenn alle Gebäude durch den Austausch von Türen und Fenstern besser gedämmt und Luftdichter werden, entsprechend der aktuellen Standards der deutschen EnEV.
- Szenario 2 (Insulation): Das zweite Szenario umfasst die Reduzierung von Wärmeverlusten durch Wärmedämmung gemäß den neuesten Standards des New Yorker Energieeinsparungscodes (NYCECC) von 2016.
- Szenario 3 (S+I): Abschließend werden die Auswirkungen der Implementierung beider Szenarien gleichzeitig gezeigt.
Die Ergebnisse werden als reiner Energiebedarf angezeigt, unabhängig von der Systemoptimierung oder Änderungen der Energiequelle.
Der direkte Vergleich zeigt, dass es möglich ist, einen großen Teil des gesamten Energiebedarfs des Gebäudes mit relativ geringem Aufwand durch bessere Luftdichtheit aller Gebäude im Szenario 1 zu reduzieren. Bei einer kompletten Gebäudesanierung wie in Szenario 3 könnte der Heizwärmebedarf sogar um die Hälfte reduziert werden. Die tatsächlichen Einsparungen der einzelnen Gebäude variieren dabei durchaus und die Ergebnisse stellen die Einsparungen im gesamten Gebiet dar. Um die Auswirkungen auf die Umwelt zu veranschaulichen, wurden CO2-Emissionsfaktoren auf der Grundlage des „80 x 50“-Berichts verwendet. Die Umrechnung von Energiebedarf zu CO2-Emissionen basiert auf Daten aus dem Basisjahr 2005. Unter den gegebenen Umständen kann die Sanierung der 9.682 Gebäude in Gebiet A zu einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen von 45% führen. Dies bedeutet eine Einsparung von 229.000 Tonnen CO2 pro Jahr.
Das Tool soll Stadtplanern die Entscheidung erleichtern
Der Einsatz der deutschen Simulationsmethode in Brooklyn hat gezeigt, dass sie sehr realitätsnahe Aussagen liefern kann, sofern die lokalen Gegebenheiten und Nutzung der Gebäude berücksichtigt werden. Mit dem Stadtmodell können Szenarien berechnet werden, die als Entscheidungshilfe für die langfristige Planung dienen. Die Simulation kann Schätzungen dazu liefern, wie sich verschiedene Sanierungsmaßnahmen auf den Energiebedarf in bestimmten Bereichen auswirken. Der Bottom-up-Ansatz ist nützlich, um realistische Szenarien basierend auf Änderungen der physikalischen Eigenschaften der Gebäude zu berechnen.
New York und Stuttgart arbeiten weiter zusammen
„Shaping the Future – Building the City of Tomorrow“ – das Motto der internationalen Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung steht auch für die weitere Zusammenarbeit der HFT Stuttgart, ENsource und der amerikanischen Partner. Im Anschluss an das vom BMBF geförderten Projektes CITYtrans hat das Team um Ursula Eicker gemeinsam mit dem New York Institute of Technology und der City University of New York das Projekt IN-SOURCE: INtegrated analysis and modelling for the management of sustainable urban FWE ReSOURCEs eingeworben, das im Sommer 2018 starten wird. Für dieses Vorhaben rund um den Food-Water-Energy Nexus hat CITYtrans den Weg geebnet. Anfang Juni 2018 werden die deutschen und amerikanischen Teams sich in weiteren Workshops treffen, um Forschungsansätze in diesem Projekt zu diskutieren und auszuarbeiten, und damit noch einen Schritt weitergehen: hier sollen die Abhängigkeiten der Bereiche Energie-, Lebensmittel- und Wasserversorgung (Food-Water-Energy Nexus) untersucht und Optimierungsstrategien zusammen mit kommunalen und industriellen Akteuren erarbeitet werden. Einige der Workshops sind öffentlich – Infos und Anmeldemöglichkeiten gibt es auf der ENsource-Homepage www.ensource.de.
BMBF-Kampagne „Shaping the Future – Building the City of Tomorrow“
Das Projekt CITYtrans wird im Rahmen der internationalen Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Shaping the Future – Building the City of Tomorrow“ gefördert.
Die BMBF-Kampagne bietet zehn ausgezeichneten Forschungsnetzwerken aus Deutschland eine Plattform, ihre Projekte für nachhaltige Stadtentwicklung im Ausland zu präsentieren und sich weltweit mit starken Partnern zu vernetzen. Schwerpunktländer der Aktivitäten sind China, Indien, Vietnam, Kolumbien und die USA.
Links
www.ensource.de
www.research-in-germany.org/shaping-the-future
www.facebook.com/Research.in.Germany
https://twitter.com/researchgermany
Autorinnen
Prof. Dr. habil. Ursula Eicker ist IAF-Leiterin an der HFT Stuttgart und Leiterin des Forschungszentrums Nachhaltige Energietechnik.
M.Sc. Verena Weiler ist Promotionsstudentin am KIT und an der HFT Stuttgart im Bereich der urbanen Energiesimulation.
M.Sc. Sally Köhler ist Promotionsstudentin am KIT und der HFT Stuttgart im Bereich Simulation von Energiesystemen
M.A. Ursula Pietzsch, Projektmanagement CITYtrans
Link zum Originalartikel im Fachmagazin „Transforming Cities“:
https://www.trialog-publishers.de/epaper/771802n0&%7c3Ak4n79dx0604/#58