Extremereignisse werden immer häufiger und heftiger und stellen Städte in Zukunft vor wachsende Herausforderungen. Die Auswirkungen von Naturkatastrophen wie Sturmfluten oder Erdbeben bedrohen dicht besiedelte und hoch vernetzte urbane Räume ebenso wie Terroranschläge und andere menschlich verursachte Katastrophen. Um solche Herausforderungen zu meistern, brauchen wir neue Ansätze. In Zeiten radikaler technologischer und gesellschaftlicher Umbrüche, wie etwa der alles umfassenden Digitalisierung des Alltags, greift klassisches Risikomanagement zu kurz. In Zukunft müssen urbane Räume Großkatastrophenlagen bewusst einkalkulieren und in der Lage sein, sich schnell davon zu erholen. Idealerweise lernen sie sogar für künftige Herausforderungen und entwickeln sich weiter. Kurz: urbane Räume brauchen mehr Resilienz. Technische Lösungen für mehr Resilienz entwickelt das Fraunhofer EMI in Freiburg mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft nicht nur in Deutschland. Im Rahmen seiner internationalen Kampagne TAURUS (transatlantisches Forschungsmarketing für urbane Resilienzforschung), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, präsentieren die Freiburger Forscher zurzeit ihre Lösungen „Made in Germany“ in den US-amerikanischen Metropolregionen Washington D.C., New York City und Boston.
Städte werden immer verwundbarer
Die großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wie Klimawandel und Ressourcenknappheit, belasten eine Weltgemeinschaft, die zunehmend in Städten lebt. Noch vor rund 60 Jahren lebten zwei von drei Menschen auf dem Land. Nach Prognosen des Bevölkerungsentwicklungsprogramms der Vereinten Nationen kehrt sich der Trend um: Im Jahr 2050 werden voraussichtlich zwei von drei Menschen in Städten leben. Gewachsene, jahrzehnte- oder jahrhundertealte Strukturen müssen plötzlich mit einer viel größeren Zahl von Menschen zurechtkommen als bisher. Dadurch werden Städte häufig weit über das Maß hinaus belastet, für das sie ursprünglich geplant waren. Um immer mehr Menschen beheimaten zu können, müssen Städte daher ihr Gesicht verändern. Dieser notwendige Wandel urbaner Räume geschieht auf ganz verschiedene Art und Weise. In den klassischen, westlichen Industrieländern werden bereits bestehende Infrastrukturen modernisiert, umstrukturiert und angepasst. In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern werden dagegen in atemberaubendem Tempo neue Städte geplant und gebaut. Hier stellt sich die Frage, ob die dort praktizierte Art der Stadtplanung langfristig nachhaltig ist und zu lebenswerten, aber gleichzeitig auch sicheren Städten führt. Durch die weiter voranschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft werden urbane Räume zudem zunehmend durch intelligente Vernetzung miteinander verknüpft. Im privaten Bereich sind die sozialen Medien bereits seit einigen Jahren zum essentiellen Bestandteil des täglichen Lebens geworden. Die industrielle Fertigung bewegt sich mit großen Schritten in Richtung der so genannten Industrie 4.0, bei der sämtliche Produktionsprozesse immer stärker digital miteinander verknüpft und gesteuert werden. Insgesamt bietet sich Städten dank der Digitalisierung zunächst einmal eine Vielzahl von Chancen. Allerdings bergen die Entwicklungen auch Gefahren. Denn immer stärker werdende Naturkatastrophen oder willkürliche Terrorattacken treffen dann auf immer höhere Bevölkerungszahlen auf immer kleineren Räumen. Alle wichtigen Infrastrukturen – wie Strom, Kommunikation, Wasser und Nahrung – sind durch die Digitalisierung so eng miteinander verknüpft, dass beim Ausfall einer Infrastruktur sehr schnell das ganze System in Mitleidenschaft gezogen wird. Die jüngsten Naturkatastrophen in den USA, Mexiko und Indien, sowie die Serie von Terroranschlägen in europäischen Städten in den letzten Jahren bezeugen dieser Entwicklung.
Wachsende Anforderungen an Städte
Das klassische Konzept von Sicherheit, welches auf der Fähigkeit beruht, Gefahren und Risiken exakt zu bestimmen und beherrschbar zu machen, greift angesichts dieser komplexen Umwelt und der Herausforderungen zu kurz. In Zukunft müssen Städte in der Lage sein, flexibel und anpassungsfähig auf nicht einkalkulierte Risiken und Katastrophen folgen zu reagieren und die Fähigkeit entwickeln, sich schnell von solchen Schocks zu erholen. Städte, denen dies gelingt, bezeichnet man als „resilient“. Resilienz ist ein ursprünglich aus der Psychologie stammendes Konzept. So gilt ein Mensch als resilient, wenn er mit Schwierigkeiten im Leben erfolgreich umgeht, wenn ihn auch schlimme Ereignisse nicht aus der Bahn werfen können. Wissenschaftler, die sich mit Stadtentwicklung auseinandersetzen, haben versucht, das Resilienz-Konzept auf urbane Räume zu übertragen. In diesem Zusammenhang kann Resilienz als ein strategischer Handlungsansatz mit einem erweiterten Verständnis von Sicherheit gesehen werden. Resilienz-Forscher möchten unsere Städte und deren lebenswichtige Infrastrukturen mit Hilfe kluger Innovationen fit für die Zukunft machen – und zwar vor dem Hintergrund aller nur denkbaren Herausforderungen: von Naturkatastrophen über Terrorismus bis hin zu Dingen, an die wir noch gar nicht denken. Das ist auch für nachhaltige Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Denn wenn unsere Städte aufgrund katastrophaler Ereignisse zerstört werden und immer wieder neu aufgebaut werden müssen, kann von Nachhaltigkeit keine Rede sein. Deshalb müssen die Städte sich den Herausforderungen der Zukunft dynamisch und umfassend anpassen – also resilient werden. In diesem Sinne sollte nachhaltige Entwicklung zukünftig nicht nur soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte miteinander in Einklang zu bringen versuchen, sondern ebenso die Resilienz von Städten als wichtigen Bestandteil der Nachhaltigkeit beachten.
Ingenieurlösungen für mehr Resilienz
Eigenschaften wie Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Kreativität werden eher Menschen zugeschrieben als technischen Systemen. Resilienz erfordert genau diese Eigenschaften. Denn nur dann können Menschen mit schlimmen Ereignissen, wie dem Tod eines Angehörigen oder einer schweren Krankheit, erfolgreich umgehen. Die Forscher des Fraunhofer- Instituts für Kurzzeitdynamik (Ernst-Mach-Institut (EMI)) arbeiten daran, auch technischen Systemen solche Eigenschaften zu verleihen. Gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft entwickeln sie kluge ingenieurtechnische Lösungen, die zur Stärkung der Resilienz urbaner Räume beitragen. Dabei geht es zunächst um die Frage, wie man bereits zu Beginn von Stadtplanungsprozessen das Thema Resilienz integriert. Ferner geht es dann beim Neubau, der Sanierung oder auch der Nachrüstung von städtischen Bauten und Infrastrukturen darum, Resilienz auch materiell und finanziell greifbar zu machen. Die Besitzer und Betreiber von Gebäuden, Transportsystemen und anderen Infrastrukturen brauchen messbare Größen als Antwort auf drängende Fragen: Wie groß ist der mögliche Schaden nach einem bestimmten Ereignis? Wie lange wird ein möglicher Ausfall eines Gebäudes oder eines Unternehmens andauern? Welche Kosten erzeugt die Wiederherstellung der wichtigsten Funktionen? Die Lösungen der Forscher für diese Art Fragen sind vielseitig. Sie reichen von Experten-Software zur virtuellen Darstellung möglicher Risiken bis hin zu neuartigen Konstruktionsweisen für Hochhäuser, um Extremlasten zu widerstehen und Menschen auch im Katastrophenfall sicher evakuieren zu können.
BMBF-Kampagne „Shaping the Future – Building the City of Tomorrow“
Die Kampagne TAURUS (transatlantisches Forschungsmarketing für urbane Resilienzforschung) des Fraunhofer EMI wird im Rahmen der internationalen Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Shaping the Future – Building the City of Tomorrow“ gefördert. Die BMBF-Kampagne bietet zehn ausgezeichneten Forschungsnetzwerken aus Deutschland eine Plattform, ihre Projekte für nachhaltige Stadtentwicklung im Ausland zu präsentieren und sich weltweit mit starken Partnern zu vernetzen. Schwerpunktländer der Aktivitäten sind China, Indien, Vietnam, Kolumbien und die USA.
In Zusammenarbeit mit Dipl. Biol., M.Sc. Ulrike Wolpers, science stories.
Quelle: Ausgabe 4-2017 www.transforming-cities.de
Links:
www.research-in-germany.org/shaping-the-future
www.facebook.com/Research.in.Germany
twitter.com/researchgermany